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New Work in der Pflege. Kann das gut gehen?

Wie vereinbart man die starren Strukturen in der Pflege mit neuen radikalen Ideen einer neuen Arbeitswelt? Dr. Mathias Hartmann gibt Einblicke, wie das bei Diakoneo und seinen 11.000 Mitarbeitern funktioniert.

Was ist es, was ich wirklich will?

Die Pflegebranche ist zehnmal träger als man es glauben mag. Große Veränderungen werden nicht in Jahren, sondern in Dekaden gemessen. Dabei versprechen Ansätze wie "New Work" und neue Möglichkeiten durch die Digitalisierung mehr Selbstbestimmung und Effektivität. Der Philosoph und Begründer von New Work, der Neuen Arbeit, Frithjof Bergmann ermutigt immer wieder all jene, die sich mit seinen Ideen zur neuen Arbeitswelt befassen: Was ist es, was ich wirklich, wirklich auf dieser Erde will?

Doch wie vereinbart man diesen veränderten Blickwinkel von Unternehmerseite auf die Belange der Mitarbeiter und neue Konzepte von Arbeit mit den Anforderungen einer Branche, in der der Wunsch nach mehr Ruhe und Zeit für Patienten d, aber starre Strukturen und Überarbeitung die Regel sind?

Darüber sprechen wir mit Dr. Mathias Hartmann, Vorstandsvorsitzender bei Diakoneo, dem größten diakonischen Träger in Süddeutschland. Mit ihm werfen wir einen Blick auf die Herausforderungen und Möglichkeiten, die New Work im Gesundheitssektor bietet.

Dr. Mathias Hartmann ist Vorstandsvorsitzender von Diakoneo, eines der größten Gesundheits- und Sozialunternehmen in Deutschland. Diakoneo betreibt mit über 11.000 Mitarbeitern mehr als 200 Einrichtungen in Bayern, Baden-Württemberg und Polen, darunter Krankenhäuser, Pflege- und Behinderteneinrichtungen, allgemeinbildende und Berufsschulen, Kindergärten und Jugendeinrichtungen.

Die Neue Arbeit hat die Aufgabe, den Menschen zu helfen, der Frage, was sie wirklich, wirklich wollen, nicht länger auszuweichen. – Frithjof Bergmann

Was ist New Work?

New Work ist ein Konzept, das von Frithjof Bergmann, einem Philosophieprofessor an der University of Michigan, entwickelt wurde. Die Neue Arbeit zielt darauf ab, die Art und Weise, wie Menschen Arbeit wahrnehmen und ausüben, grundlegend zu verändern.

Hier sind die 10 wichtigsten Fakten über New Work von Frithjof Bergmann:

  1. Der Ursprung: New Work entstand in den 1980er Jahren als Reaktion auf die massiven Entlassungen von GM-Arbeitern in Flint, Michigan. 1

  2. Philosophischer Charakter: Das Konzept von New Work hat einen philosophischen Charakter und basiert auf den zentralen Werten Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. 2

  3. Vision: Die Vision von New Work besteht darin, die Erwerbsarbeit radikal zu verkürzen, damit der Rest der Zeit für gesellschaftliche und insbesondere persönliche Projekte genutzt werden kann. 2
  4. New Work-Zentren: Das erste Zentrum für New Work wurde 1984 gegründet, um den Begriff in seiner ursprünglichen Form zu prägen. 10

  5. Beziehung zwischen Menschen und Arbeit: New Work befasst sich mit der Beziehung zwischen Menschen und Arbeit und wie diese neu gestaltet werden kann. 6

  6. Arbeit, die man wirklich tun möchte: Laut Bergmann besteht das Ziel von New Work darin, Menschen dabei zu unterstützen, die Arbeit zu finden, die sie wirklich in ihrem Leben tun möchten. 6

  7. Kontinuierlicher Prozess: New Work ist ein kontinuierlicher Prozess der Selbstreflexion und kann nicht mit einer einmaligen Aktion verglichen werden. 6

  8. Holistischer Ansatz: New Work ist ein weitreichender und ganzheitlicher Ansatz, der sich auf ressourcenorientiertes und sinnvolles Leben und Arbeiten konzentriert. 10

  9. Aktuelle Nutzung des Begriffs: Die ursprünglichen Ideen von Bergmann finden sich in der heutigen Verwendung des Begriffs New Work kaum wieder. 3

  10. Weiterentwicklung der Theorie: Der Psychologe Markus Väth hat Bergmanns Theorie weiterentwickelt und vier Säulen identifiziert, auf denen eine erfolgreiche Umsetzung von New Work basieren könnte: Lebensgestaltung, Kompetenzmodelle, Organisationsentwicklung und Technologie. 10

Das Verständnis von New Work verändert sich seit seinem Ursprung in den Texten von Frithjof Bergmann und hat sich von Bergmanns ursprünglichen Ideen entfernt. Dabei bleibt das ursprüngliche Konzept von der Neuen Arbeit aber ein wichtiger Anker, zu dem auch Dr. Mathias Hartmann immer wieder Bezug nimmt in seiner Arbeit.

Dr. Mathias Hartmann über New Work und Digitalisierung bei Diakoneo

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Dr. Mathias Hartmann von Diakoneo über New Work in der Pflegebranche
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Passen New Work und die Pflege zusammen?

Christoph Schneeweiß: New Work wird oft mit Technologieunternehmen und Startups assoziiert. Die Pflegebranche gilt als träge und wenig innovativ. Kann ein radikales Konzept wie New Work überhaupt in Verbindung mit der Sozialwirtschaft und der Altenpflege funktionieren?

Dr. Mathias Hartmann: Absolut. Das Wichtigste an New Work ist nicht mobiles Arbeiten oder Home Office. Das sind nur Ausschnitte von einer viel größeren Sammlung an Möglichkeiten. New Work heißt Arbeit als etwas zu erleben, was stärkt und nicht schwächt. Es geht um Themen wie Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn- und Werteorientierung, persönliche Entwicklungsmöglichkeiten und soziale Verantwortung. Und gerade im sozialen Bereich haben wir da viel zu bieten.

New Work betont nicht die Hierarchie, sondern die Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Wie Diakoneo eine neue Arbeitskultur etabliert

Christoph Schneeweiß: Wie setzen Sie New Work bei Diakoneo um?

Dr. Mathias Hartmann: Wir haben das Projekt zum ersten Mal überhaupt im Unternehmen intern unter allen Mitarbeitern ausgeschrieben. Viele Mitarbeiter bewarben sich und einige arbeiten nun als Teil des New-Work-Projektteams. Die Mitarbeiter haben die Freiheit, ihre Interpretation von New Work zu definieren und zu entscheiden, welche Rahmenbedingungen sie ändern möchten. Wir sehen New Work als Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern und unseren Mitarbeitern zu helfen, die Arbeit im Unternehmen selbstwirksam zu verbessern.

Christoph Schneeweiß: Aus welchen Bereichen kommen die Mitarbeiter, die sich für das Projekt gemeldet haben?

Dr. Mathias Hartmann: Die Auswahl trifft unser Team aus der Unternehmensentwicklung. Es achtet darauf, dass Mitarbeiter aller Bereiche und Hierarchien vertreten sind. Dazu zählen Mitarbeiter aus den Einrichtungen wie Pflegekräfte und Pädagogen, und Mitarbeiter aus allen Ebenen der Führungsstruktur.

Als Manager muss man einfach mal den Mund halten und den Experten in seinem Team vertrauen.

Wie Pflegeeinrichtungen New Work erfolgreich etablieren können

Christoph Schneeweiß: Gibt es Tipps, die Sie anderen Organisationen geben würden, die sich auch mit dem Thema New Work auseinandersetzen wollen?

Dr. Mathias Hartmann: Ich lerne selbst noch täglich Neues dazu. Es ist wichtig, New Work zu einem persönlichen Thema zu machen und für die Gedanken dahinter einzustehen. Auch müssen Führungskräfte bereit sein, Kontrolle abzugeben, und Mitarbeitern den Freiraum zu geben, den sie brauchen. New Work betont nicht die Hierarchie, sondern die Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Als Manager muss man einfach mal den Mund halten und den Experten in seinem Team vertrauen. Es ist spannend zu sehen, wie positiv besonders junge Mitarbeiter auf diese Veränderungen in der Unternehmenskultur reagieren.

Nehmen wir Mitarbeiter der Generation Z als Beispiel. Sie geben viel schneller Feedback, auch an Vorgesetzte und Vorstandsmitglieder. Das finde ich total erfrischend, dass sie in Situationen, wo sie anderer Meinung sind, nicht einfach nur zustimmen, sondern couragiert ihre Meinung vertreten – und damit viel mehr auslösen als diejenigen, die dann eher im Stillen denken: Der Chef wird schon wissen was er tut.


Quellen

  1. An Interview with Frithjof Bergmann: Rethinking Work on a Global Scale
  2. New Work: Zahlen, Daten, Fakten (PDF)
  3. New Work New Culture by Frithjof Bergmann
  4. The most important facts about New Work
  5. Digitale New Work Experience
  6. New Work
  7. So arbeiten wir morgen
  8. Prof. Dr. Frithjof Bergmann - New Work, New Work Culture (Youtube)
  9. New Work, New Culture
  10. Frithjof Bergmann (Wikipedia)
  11. New Work (Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation)

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