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Von Tabu zur Technologie: Wie Henkel in einem Milliardenmarkt die Pflege verbessert

Inkontinenz ist nicht nur ein tabuisiertes Thema, sondern auch ein wachsendes Problem in Deutschland und Europa. Unternehmen wie Henkel wollen die Pflege mit neuen Technologien verbessern.

Wir haben mit Ulrich Wagner von Henkel über die Fortschritte bei Smart Adult Care gesprochen und die wichtigsten Fragen am Ende des Artikels zusammengefasst.


Stellen Sie sich vor, Sie müssten einen Arbeitsplatz wählen, basierend auf der Entfernung zur nächstgelegenen Toilette. Das klingt absurd, oder? Doch für Millionen von Menschen in Deutschland und Europa ist dies eine Realität aufgrund von Inkontinenz.

Nicht ohne Grund widmen sich Unternehmen wie Henkel mit neuen Technologien dem Problem.

Inkontinenz ist nicht nur ein Tabuthema, sondern auch ein wachsendes Problem in Deutschland und Europa. In Deutschland sind schätzungsweise 6 bis 9 Millionen Menschen von Inkontinenz betroffen.

Beinahe jeder zweite ist im hohen Alter betroffen, denn mit dem Lebensalter steigt die Zahl der Betroffenen rapide an. Während bei Frauen im Alter von 40 Jahren 7,8 Prozent und von Männern 3,6 Prozent an Inkontinenz leiden, sind es bei 80-Jährigen bereits 40 Prozent.

Die wichtigsten Zahlen über Inkontinenz

Der Markt für Inkontinenz in Deutschland hat im Jahr 2023 einen Umsatz von etwa 1 Milliarde Euro erreicht. Bis 2027 wird der Markt in Europa um jährlich 1,5 Proze wachsen, was einem Marktvolumen von 4,6 Milliarden Euro entspricht.

Frauen sind häufiger betroffen als Männer, wobei etwa jede vierte Frau und jeder zehnte Mann in Deutschland erkrankt. Die Auswirkungen von Inkontinenz betreffen nicht direkten Kosten beispielsweise für Inkontinenzprodukte, sondern auch die indirekten Kosten, die durch Folgeerkrankungen, Pflegebedarf und Produktionsausfälle entstehen. Inkontinenz kann auch negative Auswirkungen auf das Arbeitsleben der Betroffenen haben, wie eine Studie von REHADAT zeigt. Darüber hinaus kann Inkontinenz zu sozialer Isolation, Partnerschaftsproblemen und Depressionen führen.

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Die wichtigsten Zahlen der REHADAT-Studie:

41 Prozent der Befragten fühlten sich aufgrund ihrer Erkrankung im Beruf benachteiligt.

47 Prozent haben ihren Arbeitgeber nicht über ihre Inkontinenz informiert, da es ihnen peinlich ist.

46 Prozent der Befragten wussten nicht, dass sie bei einer anerkannten Behinderung unterstützende Hilfen in Anspruch nehmen können.

Über ein Viertel der Befragten bewertete den Weg zur Sanitäreinrichtung im Betrieb als zu weit.

Ein Wachstumsmarkt für mehr Lebensqualität

Der Markt für Einweg-Inkontinenzprodukte soll bis 2027 jährlich um 5 Prozent wachsen. Die Nachfrage nach Inkontinenzprodukten wird dabei durch die zunehmende Zahl von Nierenerkrankungen und -verletzungen sowie die alternde Bevölkerung getrieben. Einlagen und Einweghosen sind bisher die dominierenden Produkte in Bezug auf Stückzahlen und Umsatz.

Insgesamt ist der Markt für Inkontinenzprodukte in Deutschland und Europa bedeutend und wächst weiterhin, wobei die alternde Bevölkerung und die steigende Prävalenz von Nierenerkrankungen und -verletzungen die Nachfrage nach Inkontinenzprodukten antreiben.

Die Zahlen verdeutlichen den Bedarf an innovativen Lösungen für die Inkontinenzversorgung. Unternehmen wie Henkel haben dies erkannt und setzen mit Smart Adult Care auf neue Technologien, um das Leben von Menschen mit Inkontinenz zu verbessern.

Henkel, der Hidden Tech-Champion im MedTech-Bereich?

Henkel hat im vergangenen Jahr seinen Umsatz um beinahe 12 Prozent gesteigert auf 22,3 Milliarden Euro. Getragen wird das Geschäft von drei Hauptgeschäftsbereichen: Adhesive Technologies, Beauty Care und Laundry & Home Care:

  1. Adhesive Technologies: Der Umsatz betrug 11,242 Milliarden Euro, was einem Anstieg von 16,6% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Dieser Bereich machte 50% des Konzernumsatzes aus1.
  2. Beauty Care: Der Umsatz betrug rund 3,8 Milliarden Euro, was einem Anstieg von 2,6% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Dieser Bereich machte 17% des Konzernumsatzes aus1.
  3. Laundry & Home Care: Der Umsatz betrug rund 7,1 Milliarden Euro, was einem Anstieg von 8,3% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Dieser Bereich machte etwa ein Drittel des Konzernumsatzes aus1.
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Die smarte Windel von Henkel (Quelle: Henkel)

Wie smarte Windeln die Pflege entlasten

Smarte Windeln sind ein Teil der Produkte, mit klassische Verbrauchsgüter in hilfreiche intelligente Unterstützer für die Pflege verwandelt werden sollen. Henkel hat dafür Sensoren mit graphitbasierter Tinte auf flexible Materialien gedruckt. Diese Sensoren erkennen Veränderungen in der Umgebung. Die Daten werden an eine Cloud gesendet und von einer Software sichtbar gemacht. Die Pflegekräfte können dadurch den Zustand der Patienten über eine App auf ihren verknüpften Geräten überwachen.

Laut Henkel verspricht Smart Adult Care, die Gesundheit der Patienten zu verbessern und spart Pflegekräften Zeit und minimiert unnötige Windelkontrollen.

Der Podcast mit Ulrich Wagner

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Das ganze Interview mit Ulrich Wagner anhören
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Antworten auf die wichtigsten Fragen im Interview

01:49 Was ist Smart Adult Care und wie funktioniert es?
03:11 Wie werden die Daten von Smart Adult Care angezeigt und abgerufen?
04:27 Wie grenzt sich Smart Adult Care von anderen Innovationen im Markt ab?
05:58 Wo ist Smart Adult Care bereits auf dem Markt und wann wird es in Deutschland verfügbar sein?
08:12 Gibt es bereits Pilotprojekte und wie sind die Feedbacks aus den Einrichtungen?
06:33 Wie sieht es mit der Erstattung der Kosten für Smart Adult Care aus?
09:34 Wie können interessierte Einrichtungen mehr über Smart Adult Care erfahren?
10:01 Wie kann man sich für ein Pilotprojekt anmelden mit Smart Adult Care?

Transkript

00:00 Christoph Schneeweiß: Herzlich willkommen bei Pflege Digital, dem Digital Podcast für die Pflegebranche. Ich habe heute Ulrich Wagner zu Gast, er ist bei Henkel tätig. Henkel und Pflege hat man ja bisher nicht so in einen Topf geworfen und vor allem nicht im Rahmen eines Tech-Talks. Ulrich! Schön, dass du hier bist, möchtest du dich kurz vorstellen und sagen, was es mit Henkel und Pflege eigentlich gerade auf sich hat? 

00:30 Ulrich Wagner: Hallo Christoph, Danke für Deine Einladung, über die ich mich sehr gefreut habe. Ich bin als Business Development Manager für digitale Hygieneprodukte bei Henkel tätig. Ich kümmere mich darum, unsere digitalen Produkte und die Lösung Smart Adult Care erfolgreich auf den Markt zu bringen und das Geschäft damit weiterzuentwickeln.

Bei Henkel und Pflege denken sicherlich viele Zuhörer zuerst an die Pflege ihrer Wäsche. Henkel ist aber in der Tat schon seit Jahrzehnten im Gesundheitswesen vertreten. Einige von ihnen werden uns vielleicht noch aus dem Bereich Reinigungs- und Desinfektionsmittel kennen. Wir sind aber vor allem als Technologie-Lieferant etwa mit besonders hautverträglichen Klebstoffen für Pflaster-Applikationen oder im Bereich Sensorik mit leitfähigen Druckfarben vertreten.

Diese Druckfarben aus unserem Bereich Printed Electronics sind auch ein wesentlicher Bestandteil unserer digitalen Lösung Smart Adult Care, die wir mit unserem Partner Smarts, einem australischen Startup, entwickelt haben.

01:29 Christoph Schneeweiß: Das heißt Ihr wollt wirklich mit einem konkreten Produkt in die Pflegebranche reingehen. Magst du vielleicht ein paar Worte dazu sagen? Was hat es mit dem Produkt auf

01:38 Ulrich Wagner: Smart Adult Care ist ein digitales Inkontinenz-Managementsystem. Das besteht aus einer smarten Windel und einer speziellen Software. Damit ist es zum einen möglich, die Feuchtigkeit in dem Inkontinenz-Produkt zu bestimmen und damit den Zeitpunkt für den notwendigen Wechsel. Darüber hinaus ist das System aber auch geeignet, um die Position des Patienten zu bestimmen: wo er liegt, ob er steht, ob er sitzt.

Besonders im Hinblick auf die fragile Haut von unseren älteren Patienten ist es wichtig, dass dann durch eine Umlagerung das Risiko für Haut-Schädigung gesenkt wird.

Wir können aber auch eine Temperatur messen, die nahe der Körpertemperatur ist, um zum Beispiel Infektionen rechtzeitig zu erkennen und am Ende kann das System auch Stürze erkennen und dem Pflegenden eine entsprechende Nachricht zukommen lassen, damit er rechtzeitig nach dem Bewohner, dem Patienten schaut.

02:38 Christoph Schneeweiß: Das heißt da steckt relativ viel Technologie drin in dem Inko-Material. Wie kann ich mir das vorstellen? Wo kommen diese Daten dann an? Werden die in die Pflege-Doku gepackt? Werden die in eine eigene App gepusht, über die ich das dann abrufen kann? Wie habe ich denn denn als Pflegefachkraft Zugang zu diesen Infos?

02:54 Ulrich Wagner: Das hängt so ein bisschen davon ab, welche Infrastruktur vorhanden ist. Sind Smartphones, Tablets etc. in den Pflegeeinrichtungen vorhanden? Es gibt die Möglichkeit, diese Informationen auf einem Monitor in der Pflegestation anzeigen zu lassen. Wir haben aber auch eine App, die dann entsprechende Notifications an die Pflegenden schickt.

Es gibt da mehrere Möglichkeiten im Hinblick auf Anbindung an Pflegedokumentations-Systeme. Da entwickeln wir gerade eine Schnittstelle, dass automatisch diese Daten dort auch verfügbar sind, weil das natürlich auch immer eine Anforderung der Einrichtungen ist. Damit das dort auch gleich verfügbar ist.

03:33 Christoph Schneeweiß: Jetzt gibt es in dem Markt die eine oder andere Innovation, die da schon eingeführt wird oder vielleicht auch schon ein bisschen länger tätig ist. Sei es das direkte, digital unterstützte Inko-Material. Im letzten Tech-Talk hatte ich wissner-bosserhoff hier im Podcast, da hat Jörg Rommerskirchen mir von smarten Sensoren im Bett erzählt, die auch Feuchtigkeit oder Lagerung messen können. Wie hebt ihr euch von der Konkurrenz ab? Gibt es bestimmte Features, die euch oder die Smart Adult Care auszeichnen?

04:08 Ulrich Wagner: Im Bereich Sensorik und Med-Tech passiert im Moment ganz viel. Und manchmal lassen sich die Lösungen auch gar nicht so richtig voneinander abgrenzen. Auf der einen Seite haben wir diese Feuchtigkeitsmessungen. Es gibt auch noch andere Features. Wir arbeiten im Moment auch an Stuhl-Erkennung, Detektion von Vitalfunktionen etc. Also, das was heute auch jede Smartwatch kann. Was unser Vorteil ist: Wir sind mobil und relativ unabhängig, zum Beispiel von einem Bett. Eine Besonderheit unseres Systems ist, dass jedes Inkontinenz-Material kalibriert wird. Das heißt, es gibt nicht eine Lösung, die standardmäßig für eine Windel ist, sondern jedes Produkt wird individuell darauf geprüft, wo der Leckage-Punkt ist und das in unterschiedlichen Positionen. Also ob der Patient liegt, steht und oder auf der Seite liegt. Weil dieser sogenannte Leckage-Point ist überall anders und das zeichnet uns aus, dass unsere Lösung sehr akkurat ist.

05:11 Christoph Schneeweiß: Ich höre daraus, dass es jetzt auch keine reine Konzeptphase mehr ist, sondern es ist ein Produkt, das ist am Markt. Wie sieht es denn gerade in Deutschland aus, also seid ihr dort schon in einigen Einrichtungen mit Pilotprojekten, in denen das ausgetestet wird?

05:23 Ulrich Wagner: Wir haben einige Tests gemacht mit Pilotprojekten in Europa und Nordamerika. Unsere Lösung wird aber zunächst erst mal Ende diesen Jahres in Italien auf den Markt kommen. Wir arbeiten zusammen mit einem Partner an der Markteinführung für 2024. Derzeit ist Smart Adult Care auch noch nur für stationäre Pflegeeinrichtungen entwickelt.

Wir arbeiten aber daran an einem Konzept für die häusliche Pflege. Weil wir in diesem Bereich auch ein hohes Potenzial für unsere Lösungen sehen.

05:55 Christoph Schneeweiß: Das Preisthema habe ich gerade schon angesprochen. Es Ist ja gerade in Deutschland das sensible Thema, und ich glaube auch aktuell einer der Hauptgründe, warum man die Angebote der digitalen Inko-Material-Anbieter in der breiten Fläche noch nicht so wirklich sieht. Kannst Du dazu was sagen?

06:13 Ulrich Wagner: Ja. Natürlich entstehen durch die Einführung von Smart Adult Care oder insgesamt digitaler Gesundheitslösungen - in unserem Fall speziell für die stationäre Pflege - zusätzliche Kosten. Die Die sind aktuell im Pflegesatz, also das, was die Pflegekassen aber auch Krankenkassen finanzieren, in der Pauschale für die Inkontinenz-Materialien nicht enthalten. Das heißt, obwohl die Benefits, die vor allem in Produktivität aber auch Kostensenkung liegen - zum Beispiel weniger Leckagen heißt weniger Wäsche und weniger Kosten. Aber auch die Zeit, die dafür aufgewendet werden muss, eine Leckage zu beseitigen, ist damit drin. Das wiegt die Kosten auf, aber am Ende muss man erstmal investieren in die digitale Infrastruktur, die man dafür braucht im Bereich Netzwerk. Am Ende ist es so: Wenn jemand so ein System angewendet hat, dann möchte er das nicht mehr hergeben. Nicht mehr zurück zu den alten Routinen.

07:16 Christoph Schneeweiß: Wie waren die Feedbacks aus den Einrichtungen, mit denen ihr die Pilotprojekte gemacht habt? Haben die dann den Mehrwert gesehen? Haben sie gesagt "Wir sehen ein, dass wir da investieren müssen, weil nach hinten raus die Vorteile so exorbitant gut sind"?

07:29 Ulrich Wagner: Wie wir es schon gesagt haben: In Deutschland gibt es dafür im Moment keine Erstattungsmöglichkeit, gerade im stationären Bereich. Es ist immer ein Diskussionspunkt. Hier muss ich sagen gibt es Einrichtungen oder auch kleine Ketten, die sehr zukunftsorientiert sind, die sagen: Wir sehen jetzt schon den Benefit. Wir wissen, dass das die Zukunft ist, wir wollen jetzt investieren. Es gibt eher konservative Pflegeeinrichtungen, die sagen: Wir warten erst mal, bis es dafür wirklich eine Erstattung gibt.

Wir arbeiten sowohl in Deutschland aber auch in anderen Ländern daran mit den entsprechenden Stellen hier eine Möglichkeit zu finden, das erstatten zu lassen. Im Moment muss man sehr kreative Wege suchen, um das zu tun. Es gibt aber auch viele, die dafür offen sind für den individuellen Fall. Aber für eine breite Einführung muss es natürlich irgendeine Möglichkeit in der Zukunft geben, dass es dafür auch eine Erstattung gibt.

08:24 Christoph Schneeweiß: Und wenn ich dann jetzt als Einrichtung sage: Ich finde das spannend, ich würde gerne mal mehr darüber erfahren?

08:29 Ulrich Wagner: Mich bei LinkedIn anschreiben, oder auf unsere Henkel-Webseite schauen. Da gibt's auch noch mal einen Henkel internen Podcast. Nicht, dass das in Konkurrenz zu deinem steht, aber da gibt's auch noch mal aus einer anderen Perspektive ein bisschen mehr Informationen. Ansonsten, wie gesagt, gerne mich ansprechen. Jederzeit gebe ich da gerne Auskunft, und wenn Interesse besteht an einem Piloten, dann sind wir dann auch gerne zum Gespräch.

08:58 Christoph Schneeweiß: Dann danke für den Zeit, danke fürs Vorstellen von Smart Adult Care und ich bin gespannt was Henkel in Zukunft noch in der Pflegebranche bewegen wird.

09:06 Ulrich Wagner: Christoph vielen Dank für die Gelegenheit hat Spaß gemacht.

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